Die Bedeutung der Hundenase für die Zuchtauswahl
Jeder Hundehalter weiß, dass Hunde sich beschnüffeln, wenn sie sich begegnen. Warum eigentlich?
Das Sekret der Duftdrüsen ist absolut individuell. Die Zusammensetzung hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Einer dieser Faktoren, die die Zusammensetzung ganz wesentlich beeinflussen, ist das Immunsystem.
Wogegen ein Individuum immun ist, hängt von ererbten Faktoren ab, aber auch von den Umwelterfahrungen des jeweiligen Abwehrsystems. Inzwischen ist bekannt, dass auch Erlerntes weiter vererbt werden kann. Das gilt nicht für alles Gelernte gleichermaßen. Kein Hund vererbt die einzelnen Fertigkeiten, die ihm z.B. andressiert wurden. Aber Grundfertigkeiten wie besonders gesteigerte Geschicklichkeit oder aber auch ein besonders gut trainiertes Abwehrsystem können vererbt werden.
Die Fähigkeiten des Immunsystems spiegeln sich in der Zusammensetzung des Duftdrüsensekrets wieder, der Geruch kann u.a. als Fingerabdruck der Immunabwehr betrachtet werden.
Wird nun eine Hündin läufig, so prüft sie den Geruch der Rüden und vergleicht instinktiv die darüber erhaltenen Informationen mit den Eigenschaften ihres eigenen Immunsystems. Je stärker sich die Fähigkeiten des Immunsystems des Rüden von den eigenen unterscheiden und je größer seine Widerstandskraft insgesamt ist, desto interessanter ist er für die Hündin als Deckrüde, weil die Welpen, vereinfacht formuliert, die Summe der Fähigkeiten der Abwehrsysteme beider Elterntiere erben. Instinktiv wählt die Hündin also denjenigen Rüden für den Deckakt aus, von dem sie die vitalsten Welpen erwartet.
Das bekannte Phänomen, dass eine wertvolle Zuchthündin ausreißt und sich, zum Ärger ihres Besitzers, von dem verflohtesten und verwurmtesten Mischling decken lässt, der sich nur finden lässt, hat genau hier seine Ursache:
Je enger verwandt Rüde und Hündin sind, desto ähnlicher sind die ererbten Fähigkeiten des Immunsystems. Dementsprechend unterscheidet sich das Abwehrsystems des Mischlings erheblich von dem der Rassehündin und macht ihn daher für die Hündin attraktiv.
Parasiten schwächen das befallene Tier in nicht unerheblichem Maße. Nur ein Rüde mit hervorragendem Abwehrsystem ist in der Lage, dies auf Dauer nicht nur zu überleben, sondern sogar die Hündin durch seine Vitalität zu beeindrucken.
Dieser Mechanismus dient einerseits der natürlichen Selektion und Stärkung der Population, andererseits verhindert er unter natürlichen Bedingungen im Normalfall die Verpaarung zu eng verwandter Tiere (Inzucht und Inzest) und die damit verbundenen negativen Folgen der Inzuchtdepression. Will man also gesunde Hunde züchten, so sollte man der Nase der Hündin ein angemessenes „Mitspracherecht“ einräumen.
Wichtig für die Zucht ist hierbei, dass also ein Rüde, der mit einer Hündin sehr vitale Welpen gezeugt hat, nicht grundsätzlich vitale Welpen hervorbringt, sondern eben nur mit genau dieser Hündin. Mit einer anderen Hündin, deren Immunsystem weniger stark von seinem eigenen abweicht, wird er auch weniger vitale Welpen zeugen.
Beispiel:
Eine Hündin bekommt 5 verschiedene Deckrüden (1, 2, 3, 4 und 5) zur Auswahl.
Im Diagramm sind in der obersten Reihe 20 hypothetische Keime (A-T) aufgelistet, gegen die die Tiere immun sein können oder auch nicht. In den Reihen darunter sind in unterschiedlichen Farben jeweils die Keime markiert, gegen die das vorn genannte Tier immun ist. Rechts neben dem Diagramm ist jeweils aufgelistet. gegen wie viele der 20 Keime das Tier immun ist (Abwehrpunkte), bei den Rüden wird außerdem aufgelistet, gegen wie viele Keime ihr Immunsystem wirkt, die das Immunsystem der Hündin nicht abdeckt, die für sie also neu wären, Und in der letzten Reihe hinter den Rüden wird die Summe der Keime aufgelistet, gegen die mit dem jeweiligen Rüden gezeugten Welpen aller Voraussicht nach immun wären.
Bei den Rüden 1 und 5 unterscheiden sich die Immunsysteme nur geringfügig von dem der Hündin. Eine instinktsichere Hündin wird diese Rüden normalerweise ablehnen, weil die Verpaarung mit ihnen keine nennenswerte Verbesserung für die Welpen bringt. Möglicherweise sind die Rüden auch mit ihr verwandt.
Der Immunschutz des Rüden 2 weicht bereits stärker von dem der Hündin ab und ist daher, auch wenn im Vergleich zu Rüde 1 lediglich ein weiterer Keim abgedeckt wird, für die Hündin schon interessanter und vermutlich nicht mit ihr verwandt.
Die für die Hündin interessantesten Deckrüden sind die Rüden 3 und 4. Bei einer Verpaarung mit ihnen könnte die Hündin für ihre Welpen den besten Immunschutz erwarten, nämlich die Abwehr gegen 16, bzw. 17 von 20 Keimen.
Wie ich an anderer Stelle schon angemerkt habe: Zucht ist keine Mathematik. Dies ist nur ein Beispiel, um ein biologisches Prinzip zu verdeutlichen.
Sicherlich kann die Hündin nicht riechen, ob der Rüde möglicherweise erbliche Skelett-Deformationen (z.B. Huftgelenks-Dystrophie/HD), Organschäden oder Ähnliches in die Verbindung einbringt. Hier ist natürlich der Züchter gefragt. Damit meine ich allerdings keineswegs nur den Besitzer der Hündin! Auch der Besitzer eines Deckrüden ist im gleichen Maße verpflichtet, auf die Gesundheit der seinem Rüden zugeführten Hündinnen zu achten!
Linienzucht / Inzucht / Zwangsverpaarung und die Hundenase
Linienzucht ist gezielte Inzucht und Inzestzucht und wird mit dem Ziel betrieben, bestimmte Eigenschaften, die der Züchter als vorteilhaft sieht, zu verstärken.
Da eine instinktsichere Hündin eine solch enge Verpaarung i.d.R. ablehnt, findet man insbesondere bei Rassezüchtern z.T. Zwangsverpaarungen gegen den Willen der Hündin.
Unabhängig von der Frage, wie derartige Vergewaltigungen aus ethischer Sicht zu bewerten sind, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass es der Rasse schadet, da die Ablehnung der Hündin darin begründet ist, dass die Welpen auf Grund eines wenig leistungsfähigen Immunsystems keine optimalen Überlebens-Chancen haben.
Es mag also durchaus sein, dass bestimmte gewünschte, meist ausstellungsrelevante und das Aussehen betreffende Eigenschaften (Fellmenge, Farbe, Größe usw.) durch die Linienzucht verstärkt als Merkmal ausgeprägt werden – die Gesundheit und Vitalität der so gezüchteten Tiere wird aber nachhaltig geschädigt, wie sich u. A. an der ständig weiter sinkenden Lebenserwartung fast aller Rassehunde unschwer belegen lässt. Denn durch Inzucht/Inzestzucht können sich selbstverständlich auch gesundheitlich relevante und bis dahin vielleicht unbemerkt gebliebene (weil im genetischen Sinne rezessive) negative Merkmale potenzieren und am Ende die Gesamt-Population schwer schädigen! Diese Schädigung bezeichnet man dann als Inzucht-Depression.
Kommt nun noch eine kleine Zuchtbasis hinzu, so findet man zunehmend mehr Rassehündinnen, die sich gegenüber jedem angebotenen Zuchtrüden deckunwillig zeigen, da er mehr oder weniger verwandt ist. Bei den Rüden derselben Rasse kommt es zur sog. „Deckfaulheit“, weil bei ihnen dieser Instinkt zwar schwächer ausgeprägt, aber dennoch vorhanden ist – ein in vielen Rassehundevereinen bekanntes Problem.
Andererseits fällt bei manchen dieser Hündinnen auf, dass sie sich in der Standhitze fast jedem anderen Rüden bereitwillig präsentieren, weil fast jeder rassefremde Rüde ein besseres Immunsystem hat als die Hündin selbst.
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