Wie sicherlich bei sehr vielen Leuten, hängt auch in meinem Flur ein ziemlich großer Spiegel. Wenn ich mit den Hunden spazierengehe, müssen sie sich zum Anleinen daneben hinsetzen. Natürlich hat Llywellynn – typisch für einen jungen Hund – versucht, ob er das in irgendeiner Weise für sich zum Herumkaspern ausschlachten kann. Vom Versuch, daraus ein Fangenspiel zu machen bis zum Foppen der neben ihm sitzenden Sofie, hat er so ziemlich Alles mal ausprobiert. Jeder, der einen jungen Hund aufgezogen hat, wird diese Spielereien kennen…
In diesem Zusammenhang hatte er irgendwann auch den Spiegel entdeckt, war daran hochgesprungen und fand das Ganze wohl irgendwie interessant – ohne, dass ich nun sagen könnte, was genau er daran interessant fand. All meine anderen Hunde jedenfalls haben den Spiegel völlig ignoriert.
Als ich dann kurz darauf ziemlich krank wurde und wir unsere Spaziergänge phasenweise auf das absolut erforderliche Minimum reduzieren mussten, habe ich eine ganze Reihe verschiedenster Beschäftigungen für ihn gefunden (in 40 Jahren Hundehaltung hat man ja schon eine Reihe Ideen in petto für solche Gelegenheiten). Unter Anderem hatte ich also die Idee, ihm den großen Spiegel von der Wand zu nehmen und im Wohnzimmer auf den Boden zu stellen. So sehr wie ihn hatte der noch keinen meiner bisherigen Hunde interessiert und so dachte ich, es könnte reizvoll für ihn sein, wenn er den mal näher untersuchen könne.
Außerdem hatte ich natürlich im Hinterkopf die verschiedenen Experimente, die alle möglichen Verhaltensbiologen mit Elefanten, Delphinen usw. mit Spiegeln machen, um herauszufinden, ob die Tiere sich selbst im Spiegel erkennen können und Schlüsse daraus zu ziehen, ob und ggf. wie weit sie sich ihrer selbst also bewusst sind. Also war ich sehr gespannt darauf, was Llywellynn damit anstellen würde. Gleichzeitig war mir klar, dass ich ihm natürlich nicht, wie das in Experimenten mit Elefanten gern gemacht wird, ein Kreuz auf eine Seite der Stirn machen könnte, das er dann mit dem Rüssel untersuchen könnte…
Als der Spiegel nun auf dem Boden stand, kam Llywellynn erst einmal heran und sah darin einen Hund, den er dann wütend angebellt hat. Damit hatte ich durchaus gerechnet, denn auch ein Hund ist, im Gegensatz zur landläufigen Vorstellung, eben auch ein „Augentier“ und wertet seine Umgebung zuerst anhand optischer Eindrücke aus (die er aber aufgrund seiner, im Vergleich zum Menschen, besseren Geruchswahrnehmung mit dieser kombiniert). Gerade beim Spitz ist dieser optische Sinn besonders stark ausgeprägt – er hat ja ein regelrecht fotografisches Gedächtnis!
Also habe ich ihn erst einmal beruhigt und mich danach wieder zurückgezogen. Das Ganze hat sich noch einige Male wiederholt. Abends habe ich mich vor den Spiegel auf den Boden gesetzt, ihn herangeholt und gebürstet. Anfangs hat er den Hund im Spiegel äußerst argwöhnisch beäugt. Irgendwann ließ dieser Argwohn nach und er beobachtete den „Kerl“ zwar noch, aber mehr interessiert. Immerhin machte der immer genau das Gleiche wie Llywellynn. Legte Llywellynn sich hin, so legte sich der Hund im Spiegel auch hin. Setzte er sich, dann machte der andere Hund das auch und hob er die Pfote oder stellte sich, so machte der andere Hund das jedes Mal auch. Zwischendurch ging ihm das wohl auf den Wecker und so bellte er ihn an. Mit dem Ergebnis, dass der andere Hund – zumindest optisch – auch zu bellen schien. Aber er war eben nicht zu hören. Ob dem Llywellynn das aufgefallen war, kann ich nicht beurteilen. Irgendwann ging er jedenfalls vorsichtig zum Spiegel, drückte seine Nase daran, roch aber wohl nichts und setzte sich dann, scheinbar etwas ratlos, davor. Ich ließ den Spiegel in den nächsten Tagen einfach dort stehen.
In den folgenden Tagen gewöhnte er sich offenbar daran. Manchmal bellte er den Hund im Spiegel kurz an, manchmal irgnorierte er ihn oder schaute nur im Vorbeigehen kurz in den Spiegel.
An einem Tag saß er mal wieder vorm Spiegel und versuchte wohl, aus der ganzen Geschichte irgendwie schlau zu werden, als Sofie sich neben ihn setzte. Sofie nimmt übrigens von Hunden im Spiegel überhaupt keine Notiz – sie scheint die überhaupt nicht zu bemerken. Llywellynn dagegen bemerkte die plötzliche Verdopplung der kleinen Sofie und blickte zwischen den beiden Sofies immer hin und her. Dann beugte er sich vor und zog die neben ihm sitzende Sofie am Schwanz (das macht er gern, um sie zu ärgern). Erwartungsgemäß regte sie sich also auf und ging weg. Nachdem eine der beiden neben der Wohnzimmertür stehen blieb, die andere aber verschwunden war, versuchte Llywellynn herauszufinden, wo sie denn nun wohl abgeblieben wäre. Er suchte hinter dem Spiegel, aber da war sie natürlich nicht. Sie hatte sich einfach aufgelöst. Unfassbar! Man sah ihm förmlich an, wie die Räder im Kopf surrten!
In den nächsten Tagen wiederholten sich solche Spielchen immer wieder. Zwischendurch bellte er den Spiegelhund manchmal kurz wütend an, ließ es dann aber wieder. Manchmal suchte er nach verschwundenen Hunden oder Dingen hinter dem Spiegel, fand sie aber nie.
Nach einer knappen Woche beobachtete ich, wie er sich vor den Spiegel setzte – den gespiegelten Hund immer fest im Blick. Er hob die rechte Pfote leicht an und guckte genau, was der Hund im Spiegel machte. Anschließend setzte er sie auf den Boden, hob die andere Pfote, stellte sie auch wieder ab, stellte sich selbst auf alle Viere und setzte sich wieder.
Dann ging er weg und kam mit einem dicken Kalbsunterbein zurück. Er setzte sich mit dem Kalbsunterbein vor den Spiegel, legte es vor sich auf den Boden, nahm es wieder auf, legte es wieder hin und legte seine Pfote darüber. Und immer machte der Kerl im Spiegel ihm das nach. Also lief er wieder los und kam mit einem abgenagten Würfelbein zurück. Später holte er noch eine kleine Elle vom Reh, die er abwechselnd rechts und links aus der Schnute baumeln ließ (Er sah dabei aus wie Lucky Luke mit Kippe im Hals!) und probierte mit all diesen Sachen vorm Spiegel herum, drehte sich dabei, setzte sich wieder hin, hob abwechselnd die Pfoten…
Insgesamt wirkte er dabei wie ein Teenie, der vor seinem ersten Date vorm Spiegel posiert.
Alles in Allem kann ich natürlich nicht wirklich sagen, ob ihm klar geworden ist, dass der Hund im Spiegel niemand Anderes ist als er selbst – das Posing allerdings lässt m. E. diese Vermutung zu.
Inzwischen ist der Spiegel durch die Wohnung „gewandert“ und hängt jetzt wieder auf seinem Platz im Flur – es ist aber immer das gleiche „Spiel“.
Zwischendurch bellt Llywellynn ihn auch immer mal an – dann wieder sitzt er mit Spielsachen oder Knochen posierend davor…
Vielleicht hat ja irgendwann einmal ein kluger Verhaltensbiologe eine zielführende Idee, wie wir Genaueres herausfinden können.