B) Die Notwendigkeit einer rassespezifischen Erziehung und Ausbildung

Der nächste große Irrtum: „Alle Hunde funktionieren gleich!“

Wenn Sie Zahnschmerzen haben, wenden Sie sich dann vertrauensvoll an Ihre Gemüsehändlerin?

Vermutlich nicht.

Und das liegt daran, dass die Gemüsehändlerin zwar, ebenso wie auch ein Zahnarzt, zwei Arme, zwei Beine und einen Kopf hat, aber eine vollkommen andere Qualifikation! Sie könnte sich ganz bestimmt Ihren faulen Zahn anschauen und sogar feststellen, dass er faul ist, aber mit der Behandlung fauler Zähne kennt sie sich eben nicht aus.

Vielleicht schränken Sie Ihre Auswahl nun weiter ein und entscheiden sich, zu einem Arzt zu gehen. Schließlich haben Ärzte ja alle Medizin studiert und können also Alle das Gleiche. Oder?

Dass dem nicht so ist, werden Sie spätestens dann feststellen, wenn Sie mit Ihrem faulen Zahn beim Proktologen gelandet sind.

 

Ebenso wie Gemüsehändlerin, Zahnarzt und Proktologen unterschiedliche Qualifikationen haben, ist das auch bei Hunden. Ein Spitz ist weder ein Labrador, noch ein Hovawart.

Ähnlich, wie sowohl die Gemüsehändlerin und der Proktologe zwar erkennen können, dass Sie einen faulen Zahn haben, ihn aber nicht behandeln können, sind auch alle Hunde wachsam, haben aber nicht nur unterschiedliche Motivationen und Befähigungen, um dieser Aufgabe gerecht zu werden, sondern auch eine unterschiedliche Art, mit Bedrohungen umzugehen.

Faule Zähne kann man nämlich einfach ausschlagen oder sie, nach einer Betäubungsspritze, ziehen. Das hängt zum Einen davon ab, ob Ihr Zahnarzt, beispielsweise durch seine Erziehung, empathiefähig, bzw. einfühlsam ist oder nicht und ob er dabei berücksichtigt, ob Sie in die Behandlung überhaupt einwilligen, zum Anderen aber auch von seiner Ausbildung. Denn, wenn er nicht gelernt hat, wie, wo und mit welchem Medikament er vor der Zahn-Extraktion eine Betäubungsspritze setzen kann oder soll, werden Sie von dem Ergebnis auch nicht begeistert sein.

Wenn man das auf den Hund übertragen will, muss man ihn also einerseits erziehen, andererseits aber auch ausbilden, damit er später „seinen Job“ auch wirklich gut machen kann. Dabei sollte man nicht nur seine speziellen Interessen/Befähigungen und Motivationen berücksichtigen, sondern auch seine spätere Tätigkeit als Ziel nicht aus dem Auge verlieren. Ebenso, wie sich die Qualifikation eines Zahnarztes zum Behandeln fauler Zähne nicht durch Ausbildung seiner Singstimme verbessern lässt, verbessert man nämlich auch die Qualifikation eines Wachhundes nicht durch Frisbeescheiben oder Mantrailing. Allerdings könnte es passieren, dass der Zahnarzt nach Ausbildung seiner Singstimme beschließt, in Zukunft doch lieber singen zu wollen als sich um die faulen Zähne anderer Leute zu kümmern. Und ein nicht-jagender Wachhund könnte nicht nur die Befähigung erwerben, sondern auch Gefallen daran finden, die Hühner nicht zu beschützen, sondern aufzuspüren und zu jagen. Ist er außerdem zwar ausgebildet, aber nicht dahingehend erzogen, dass er dazu Ihre Einwilligung einholt oder ist seine individuelle Motivation entsprechend hoch (weil er sich nie sattfressen kann), so wird er diesem Bedürfnis ohne jede Kontrolle jederzeit nachkommen.

Und: Handelt es sich dabei um eine Hündin, mit der gezüchtet wird, dann wird sie diese „neue Qualifikation“ nicht nur über die sog. „Epigenetische Vererbung“, sondern selbstverständlich auch über ihre Prägung, Erziehung und Ausbildung an die Welpen weitergeben, weil sie ja aus ihrer Sicht vom Menschen erwartet wird. Denn eine Mutterhündin ist immer hoch motiviert, ihre Welpen auf das zukünftige Zusammenleben mit dem Menschen möglichst gut vorzubereiten!

Schon 1789 schreibt J. M. Bechstein in seinem Buch „Gemeinnützige Naturgeschichte Deutschlands“ zur Aufzucht von Welpen:

„man hält sie gern und glücklich zu dem Geschäffte an, welches ihre Eltern trieben, weil sie sich darzu weit geschickter und williger finden lassen, als zu einem andern.“

Mit anderen Worten: Wenn ich die Elterntiere zu irgendwelchen spezifischen Tätigkeiten ausbilde, so eignet sich die Nachzucht meist für genau diese Tätigkeit besonders gut.

Oder, wie es schon in einem alten Sprichwort heißt: „Wie die Alten – so die Jungen!“

Wenn ich also einen Hund – und erst Recht eine junge Zuchthündin – zur Fährtensuche (z. B. beim Mantrailing) ausbilde, dann können das auch die Nachkommen besonders gut. Da aber die Fährtensuche die erste und basale Stufe der sog. Jagdkaskade (= vorbestimmte Abfolge ganz spezieller Handlungen im Rahmen der Jagd), nämlich dem Appetenzverhalten, zuzurechnen ist, die grundsätzlich (da angeboren) natürlich beinhaltet, das auch die anderen Handlungsabfolgen instinktmäßig automatisiert ablaufen, dann wird nicht nur der so ausgebildete Hund selbst, sondern auch seine Nachkommen ein solches Jagdverhalten zeigen! Und zwar auch dann, wenn ich es vielleicht nicht wünsche, sondern meinen Hund beispielsweise beim Spaziergang mal ableinen möchte.

Ich frage mich also, warum dieses Wissen selbst 234 Jahre später bei manchen selbsternannten „Hunde-Experten“ immer noch nicht angekommen ist – Albert Einstein würde sich über ein solches Paradebeispiel für die Unendlichkeit menschlicher Dummheit vermutlich freuen.

Ergo:

  1. Sowohl bei der Erziehung, als auch bei der Ausbildung und Haltung von Hunden sollte man zwingend rassespezifische Kompetenzen und Eigenheiten berücksichtigen!
  2. Insbesondere bei Zuchthündinnen muss auf eine rassespezifische Erziehung und Ausbildung gesteigerter Wert gelegt werden!