„Mein Mensch hat gesagt…“

Schon immer war es so, dass Hundebesitzer mitleidig belächelt wurden, wenn sie gesagt haben, dass ihr Hund offensichtlich „jedes Wort versteht“. Daran hat sich, glaube ich, nicht viel verändert.

Soweit ich das Ganze beurteilen kann, ist es schwerpunktmäßig so, dass ein Hund hauptsächlich auf Körpersprache und Stimmlage reagiert, von der das Gesagte begleitet wird. Trotz alledem möchte ich nicht ausschließen, dass viele Hunde, die unmittelbar beim Menschen aufwachsen und ihn tagtäglich erleben, reden hören und ungeheuer eindringlich beobachten auch enorme Mengen an Sprache verstehen können (ich möchte hier nur die vielen Assistenzhunde erwähnen, die beispielsweise bei Diabetikern oder Epileptikern schon geringfügigste Veränderungen des Körpergeruchs oder Verhaltens als Warnzeichen unmissverständlich erkennen). Und auch, wenn ich meinen Hunden klare Befehle gebe, wenn sie etwas machen sollen und nicht mit ihnen diskutiere, ob sie nun „Sitz“ machen oder „bei Fuß“ kommen sollen (einer der häufigsten Fehler in der Hunde-Erziehung), so rede ich doch mit meinen Tieren und bin für einen interessierten und entsprechend ambitionierten Caniden sicherlich ein interessantes Lernobjekt. Ich glaube, dass ich damit auch unter Hundebesitzern keine Besonderheit darstelle.

Ich habe hier schon an verschiedenen Stellen erwähnt, dass ich es ganz besonders genieße, nachts mit meinen Hunden spazieren zu gehen – egal, ob es nun laue Sommernächte sind oder auch frostklare Vollmondnächte mit jungfräulichem Schnee. Ich glaube, dass viele Menschen nicht einmal ahnen, wer da so alles unterwegs ist. Von Nachtigallen bis zum Käuzchen, vom Siebenschläfer, Wiesel und Fledermaus bis zum Dachs und Waschbären habe ich schon so manchen heimlichen Mitbewohner gesehen, gehört und getroffen.

Nach meinem letzten Umzug hat sich an dieser liebgewordenen Gewohnheit nichts geändert. Selten treffe ich mal auf einen Menschen. Am Wochenende können das schon mal Jugendliche sein, deren letzte „Feier“ ein bissel länger ausgefallen ist, am ehesten sind es Zeitungsboten.

Im ersten Sommer im neuen Refugium tauchte plötzlich ein Mann auf, der grundsätzlich bei Nacht in einer dunklen Ecke einer nicht mehr genutzten Schule stand und telefonierte. Natürlich treffe ich immer mal Leute, die z.B. auf dem Nachhauseweg – auch nachts – telefonieren. Das würde ich auch nicht als sonderbar empfinden. Bei unserer ersten Begegnung lief Anton sofort in seine Richtung, blieb kurz stehen und musterte den Mann. Gilla wurde ebenfalls aufmerksam und blieb stehen. Dieser rief dann gleich aus seiner dunklen Ecke heraus „Die Hunde sind doch sicher lieb, oder?“ Und da ich ehrlich sein wollte, musste ich natürlich mit „Nein!“ antworten. Sicherlich ist Anton ein lieber Kerl. Aber wohl nicht in dem Sinne, wie der nächtliche Anrufer es meinte. Denn Anton ist vor allen Dingen aufmerksam. Und wenn ihm etwas gegen den Strich geht, dann kann er äußerst cholerisch werden und er ist definitiv nicht in dem Sinne „lieb“, dass er es nett fände, sich von jedem anfassen zu lassen. Gilla pflegt seit ihrer (medizinisch notwendigen) Kastration zwar einen etwas großzügigeren Umgang mit anderen Menschen und ist im Großen und Ganzen toleranter, im Falle eines Falles aber kann auch sie immer noch sehr ungehalten reagieren. Ich rief die Hunde zu mir und in der nächsten Zeit ignorierten sie den Mann.

Dieser stand nun in ausnahmslos jeder Nacht an der Schule und telefonierte. Egal, ob es nachts 1 Uhr war oder um Vier. Egal, ob es wie aus Eimern regnete oder nicht. Manchmal stand er etwas offener vor der Schule, sobald er aber jemanden kommen sah, verschwand er sofort in eine dunkle Ecke, in der er fast nicht gesehen werden konnte. Das wiederum fand ich dann doch etwas merkwürdig und seine ständige Präsenz gab mir insofern zu denken, dass einfach immer wieder Leute auftauchen, die gerade zur Urlaubszeit ganze Wohnsiedlungen ausspähen, um Einbrüche vorzubereiten. Und die Tatsache, dass er sich beim Auftauchen anderer Menschen sofort regelrecht versteckte, machte es noch bedenklicher. Normale Menschen verstecken sich ja nicht, sobald andere auftauchen. Und normale Menschen würden es sich, wenn sie schon regelmäßig nachts telefonieren, doch eher zu Hause gemütlich machen und sich nicht im strömenden Regen nachts in die dunkle Ecke einer verlassenen Schule drücken. (Okay – vielleicht gehen auch nicht so viele normale Menschen nachts mit ihren Hunden spazieren. Aber ich würde mich auch nicht verstecken.)

Nachdem dies nun schon seit etlichen Wochen so ging, sagte ich eines Abends, während ich mir die Schuhe zuband, zu Anton, dass dieser Mann doch irgendwie seltsam sei und meinte „Vielleicht solltest du dir den tatsächlich mal etwas genauer anschauen, Anton.“

Ich dachte mir nichts weiter dabei und da wir einen anderen Weg einschlugen und erst auf dem Rückweg wieder an der Schule vorbeikamen, hatte ich schon fast vergessen, was ich zu Anton gesagt hatte.
Scheinbar hatte Anton es aber nicht vergessen und obwohl er den Mann seit Wochen Nacht für Nacht ignoriert hatte, lief er nun bellend auf ihn zu und stellte ihn. Dieser wiederum reagierte naturgemäß sehr erbost und aus seiner dunklen Ecke konnte er natürlich jetzt auch nicht mehr heraus, denn nicht nur Anton stand inzwischen vor ihm, sondern auch Gilla hatte sich dazugestellt. Er regte sich unglaublich auf und schrie herum, dass man die Polizei holen müsse, um meine Bestien einzuschläfern. Ich habe ihm dann gesagt, dass meine Hunde ihm ja bisher nicht das Geringste getan hätten und daher sähe ich keinen Anlass dazu, aber es stünde ihm ja frei, dort anzurufen. Vielleicht könne es die Polizei ja auch interessieren, was er selbst hier immer treibt….“

Ich rief die Hunde ab und ging nach Hause. Er tobte noch in seiner dunklen Ecke herum, zog es aber vor, in seinem Versteck zu bleiben. Die Polizei hat er nicht gerufen. Das habe ich dann für ihn erledigt.

Und noch heute denke ich darüber nach, ob es nur ein Zufall war, dass Anton, nachdem er den Mann wochenlang ignoriert hatte, so reagierte oder ob er tatsächlich verstanden hat, was ich zu ihm gesagt hatte…

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