Rudolf Baumbach (1840 – 1905)
Quelle:
Thüringer Lieder, Verlag A. G. Liebeskind, Leipzig 1891
Die alte Strasse menschenleer
Schleicht müde durch die Fichten,
Die Bäume schwanken hin und her
Und raunen Waldgeschichten,
Die Meise piept, es klopft der Specht,
Die Finken lustig schlagen,
Im Schatten liegt der Strassenknecht
Und träumt von alten Tagen.
Der Fuhrmannswagen sechsbespannt
Ist aus dem Wald verschwunden,
Der Handwerksbursch im Zwilchgewand,
Er ward zum Vagabunden.
Kein lockend Schild im stillen Tann,
Kein Krug umkränzt von Reben. —
Die alte Strasse selber kann
Nicht sterben und nicht leben.
Da schallt ein Horn im Tannenwald,
Es schweigen Fink und Meise,
„Schier dreissig Jahre bist du alt”,
So klingt die traute Weise.
Die Peitsche knallt, es kommt heran,
Den Takt acht Hufe schlagen;
Im Trabe zieht das Zweigespann
Den alten, gelben Wagen.
Der Postillon im blauen Rock
Lässt hell sein Hörnlein gellen.
Der weisse Spitzhund auf dem Bock
Begleitet ihn mit Bellen.
Und Rosse, Wagen, Mann und Hund
Verschwinden in der Ferne
Gleich einem Bilde licht und bunt
Der magischen Laterne.
Ein Pfiff. — Es zieht heran im Sturm,
Ein rasselnd Ungeheuer,
Ein schwarzer, riesenhafter Wurm
Gehüllt in Qualm und Feuer.
Fahrwohl du armer Postillon!
Bald wird dein Lied verhallen.
Und wärst du Sigelindens Sohn,
Du bist dem Wurm verfallen.
Und fanden ihren Untergang
Mann, Wagen, Spitz und Gäule,
So hängt das Horn von hellem Klang
An eine Ruhmessäule.
Dann singt es wohl in leisem Ton
Zu mitternächt’ger Stunde
Und giebt von Post und Postillon
Den Kindeskindern Kunde.