Eine wirklich ganz besondere Beziehung

Während meine Mutter eigentlich immer eine Hundefreundin war, mochte mein Vater eher Pferde. Um eine Beziehung zu einem Hund aufzubauen, brauchte es bei ihm schon einen wirklich sehr besonderen Grund.

Je älter er wurde, desto mehr lag er mir zu meinem großen Ärger ständig in den Ohren, dass ich gefälligst meine Hunde abschaffen solle, weil die doch sehr viel Arbeit machten. Zu viel, wie er fand. Insbesondere, weil ich mich immer sehr um meine alt gewordenen Vierbeiner gekümmert habe. Einmal, als ich kurzfristig ins Krankenhaus musste und er mir versprochen hatte, sich um meine beiden alten Hunde zu kümmern, hatte er sogar versucht, die Beiden einschläfern zu lassen. Ein Schock!

Glücklicherweise hatte „mein“ Tierarzt das verweigert und ihm gesagt, dass er die beiden Hunde ja sehr gut kenne und wisse, dass sie nicht meinem Vater, sondern mir gehören und er deshalb gar nicht daran dächte, so lange nicht ich ihm mitteilen würde, dass es den Hunden so schlecht gehe, dass es besser für sie sei, sie zu erlösen.

Nein! Man darf meinem Vater das auch nicht, wie die meisten Hundefreunde nun sicher entrüstet denken werden, als Gefühllosigkeit oder gar Boshaftigkeit auslegen (obwohl ich zugeben muss, im ersten Augenblick auch sehr wütend gewesen zu sein). Ein Hund ist nun mal ein Nutz-, bzw. Arbeitstier und mein Vater ist in einer eher ländlichen Umgebung aufgewachsen und darum hatte er eben eine andere Sichtweise. Dass man zu einem Nutztier – und auch ich sehe einen Hund durchaus als solches an – trotzdem eine sehr innige und liebevolle Beziehung haben kann, entsprach einfach nicht seinem Weltbild. Das darf man nicht verurteilen, sondern muss es einfach aus seinem Kontext heraus verstehen. Auch, wenn man selbst anders denkt und empfindet.

Dennoch hatte ich daraufhin – besorgt und verärgert zugleich – auf eigene Verantwortung das Krankenhaus verlassen und ihm, als ich wieder zuhause war, gesagt, dass er vielleicht eines Tages froh sein würde, dass er eine Tochter hat, die nicht gleich alles, was alt und vielleicht nicht mehr ganz so nützlich ist, sofort „entsorgt“!

Eine Zeit lang sprach mein Vater dieses Thema nun auch nicht mehr an. Eines Tages aber fing er doch wieder an, mir ständig in den Ohren zu liegen, dass ich die Hunde abschaffen solle…

Als Gilla dann Nachwuchs bekam und ich den Welpen ausgerechnet „Anton“ nannte (so hieß mein Vater), ging in meinem Vater offenbar über Nacht eine höchst überraschende Verwandlung vor.

Mehrmals am Tag stand er nun ganz aufgeregt vor meiner Tür und konnte es kaum abwarten, den kleinen Anton endlich das erste Mal sehen zu können! Jede Neuigkeit und jeden Entwicklungsfortschritt, von dem ich ihm erzählte, sog er auf wie ein Schwamm. Als Gilla dann endlich bereit war, ihren Sohn auch dem Rest der Welt vorzustellen, überschüttete mein Vater den kleinen Anton förmlich mit seiner Liebe! Nie wieder verlor er ein Wort darüber, dass ich „die Hunde abschaffen“ solle!

Drei Tonis – gemeinsam 175 Jahre alt

Mein Hund Anton, der eigentlich anderen Leuten gegenüber ein ganz besonders misstrauischer Kerl war, entwickelte seinerseits eine ganz erstaunliche Beziehung nicht nur zu meinem Vater, sondern auch zu dessen Schwester Antonie, die „Toni“ gerufen wurde (und selbst früher große weiße und schwarze Spitze gezüchtet hat). Ich habe keine andere Erklärung dafür, als dass ihm vielleicht die Namensgleichheit aufgefallen sein muss (auch ihn habe ich oft „Toni“ gerufen).

Da ich, als Krankenschwester und später als Medizinerin, mich immer sehr für tiergestützte Therapie eingesetzt (Insbesondere in meinem Arbeitsschwerpunkt, der Neuro-Psychiatrie, ist der große Vorteil der tiergestützten Therapie seit Langem bekannt und geschätzt) und entsprechende Fort- und Weiterbildungen gemacht hatte, habe ich Anton von vornherein entsprechend erzogen und ausgebildet.

Als mein Vater später, mit weit über 80 Jahren, dement wurde, Viele und Vieles nicht mehr verstand und vergaß – so vergaß er doch Einen nie: Meinen (Seinen?) Hund Anton!

Leider musste mein Vater mit fortschreitender Demenz in ein Pflegeheim umziehen – eine weitere Versorgung zuhause wäre einfach zu gefährlich gewesen. Doch glücklicherweise konnte ich Anton dorthin mitnehmen und für meinen Vater war es immer eine riesige Freude, wenn Anton ihn begrüßte, bei unseren Spaziergängen neben seinem Rollator herlief und mit ihm schmuste. Das war auch keine einseitige Beziehung. Wenn ich zu Anton sagte „Komm – wir fahren zum Opa!“ (er kannte diese Bezeichnung für meinen Vater von meinen Söhnen) freute Anton sich wie wild und im Altenheim kannte er den Weg zum Zimmer meines Vaters sehr genau und konnte es kaum abwarten, bis wir endlich dort waren.

Eine ganz außergewöhnliche Liebe

Auch, als mein Vater zunehmend seine Sprache verlor – ein Hund braucht keine Worte, um einen Menschen zu verstehen. Er versteht die Körpersprache und Mimik eines Menschen und reagiert darauf. Auf diese Weise kann ein Tier auch zu Menschen vordringen, die sich aufgrund z.B. dementieller Erkrankungen immer weiter in sich selbst zurückziehen und den Kontakt mit der Außenwelt immer schwerer aufrecht erhalten können. In diesen Fällen zeigt das Tier dem betroffenen Menschen, dass er nicht allein ist und wirkt durch seine körperliche Wärme und Nähe beruhigend auf den Menschen. Egal, wie viel Mühe wir Menschen uns geben, ein Tier ist uns in dieser Hinsicht fast immer weit überlegen. Häufig ermöglicht diese liebevolle Berührung dem Betroffenen, auch seine anderen, immer geringer werdenden, Möglichkeiten der Kommunikation wieder besser wahrnehmen und nutzen zu können.

Und so war es ausgerechnet Anton, der meinem Vater durch seine Wärme und Liebe die Sprache zurückgab! Er brachte ihm Mut, Lebensfreude, Fröhlichkeit, Herzlichkeit und Geborgenheit in seine immer dunkler und einsamer werdende Welt und ebnete ihm den Weg in die Umwelt, zu mir und auch zu seinen eigenen Gedanken und Gefühlen.

So oft ich daran zurückdenke, glaube ich, dass die einfache Tatsache, dass ich diesem Hund den schönen Namen meines Vaters gegeben und damit gerade noch rechtzeitig bevor mein Vater dement wurde, zwischen den beiden ein zartes, liebevolles Band geknüpft hatte, für meinen alten Vater wohl, ohne dass ich vorher je darüber nachgedacht hatte, eines der größten und wertvollsten Geschenke geworden war!

Es war eine wirklich ganz besondere Beziehung zwischen den beiden…