1935 – Weg übers Moor

Hans Friedrich Blunck (1888 – 1961)

Quelle:
Kamerad Hund (Heinrich Mühr; Safari-Verlag; Berlin; Jahr nicht angegeben)

Morgens, als ich Feuer anzünden wollte, merkte ich, daß kein einziges Streichholz mehr in der Kate war, nicht auf dem Herd, nicht in meiner Tasche und auch nicht im Schrank, wo ich noch ein halbes Paket vermutet hatte. Das war böse; es hatte in der Nacht geschneit und war kalt im Haus, bitterkalt, so daß Eis auf den Eimern stand. Ich hatte auch gerade heute ein gutes Stück Arbeit vor; die geht gut voran in der Einsamkeit, aber es muß Feuer im Herd sein. Schlimm, wenn man mit verklammten Fingern die Feder führen will.

Mein Hund sah, daß ich vergeblich suchte – Komrad hieß er und war mein bester Helfer. Es ist nicht richtig, wenn der Mensch ganz ohne Umwesen auskommen will; aber da sind Hunde, diese Schäferhunde zumal, die menschlicher als die besten Freunde sein können. Komrad war solch einer. Er war gesellig und unterhielt mich gut; so ein Hund hat viele Einfälle und ist gewiß lustiger als ein verdrossenes Weibsgesicht. Aber an diesem Morgen war auch er hungrig und schnupperte mit mir vergeblich am Herd herum.

„Keine Streichhölzer, Komrad! Wir müssen wohl zum Förster übers Moor!“

Der Hund springt bellend zur Tür, ich glaube, es gibt kein Wort, daß er nicht versteht. Gähnend stoße ich den Riegel auf – Schnee, alles Schnee! Die Fläche blendet die Augen, kaum können die Erlruten und der ferne Waldrand einige Striche Dunkels hineinflechten. Und Schnee liegt noch in der Luft, trotz der roten Frühe, die das flache Gewölk durchscheint – Schnee, viel Schnee! Wir könnten einschneien, auf zwei, drei Tage, auf länger. „Los, Komrad, wir müssen Feuer holen!“

Nach den ersten Schritten möchte man beinahe heimkehren, so naß und morastig liegt die Erde unter der weißen Decke. Der Frost hat erst in der Frühe eingesetzt. „Bleib bei Fuß, Komrad; da sind böse Sumpflöcher rechts und links vom Weg. Aber schließlich können wir nicht im kalten Haus sitzen und kennen den Pfad auch schon lange genug. Laß die verrückten Sprünge im Schnee, du wirst früh genug müde werden. Wozu ich das Gewehr bei mir habe? Ja, vielleicht kommt mir eine Krähe vor die Mündung, da kriegst du zu tun. Ich kann die Grauröcke, die Nestplünderer, die den ganzen Moorrand umhorsten, nun einmal nicht ausstehen.“

Lang ist der Weg, kaum daß die Ferne näher wächst. Auch der Hund wird stiller, ich brauch nicht zu pfeifen und zu drohen. Er läuft, wo’s angeht, vor mir her; er weiß, wir müssen an den Buschpfählen entlang, die ich im Herbst einmal zu stecken begann. Hätte ich sie nur nachgefüllt! Manche hat der Wind weitergetragen oder der Moorhase benagt, und auch Komrad hat welche ausgerissen. Er übte ein besonderes Zupacken – mit einem Ruck hatte er die Ruten aus dem Boden und kam in großen Sätzen an, um Stockziehen zu spielen. He, siehst du jetzt, wozu ich sie eingesetzt habe, verwünschter Kerl? Find einer den Weg durch den Sumpf bei dem vertrackten Schnee! Der Hund klemmt die Rute ein, solange ich ihn schelte, dann läuft er wedelnd voran, als wollte er mir den Weg suchen.

Was soll man einander auch heute Vorwürfe machen! Hätte nur der Frost den Boden früher gehärtet; unterm Fuß schwingt der moorige Grund, und der Schnee läßt große schmutzige Stapfen zurück. Mitunter liegt schwärzlich ein Wasserloch seitab, halb überweht von einer Wächte des Westwinds. Ja, es wehte genug zur Nacht, ich wachte einmal auf und stopfte Werg in die Fensterrillen.

Die Einsamkeit ist so weiß und schwer, erst hier draußen spürt man sie recht. In meiner Kammer habe ich immer genug zwischen meinen Büchern und Schriften zu tun, habe zu räumen, Kloben zu spalten oder Teller abzuwaschen. Hier mitten in der Weiße merkt man, wie einsam der Winter ist. Noch eine Stunde weit habe ich zum Forsthaus zu laufen! Nun, man wird mich nicht ohne Kaffee gehen lassen; wir sind gute Nachbarn und die Förstersfrau freut sich und kann über Hunde und Jagd und Winter mitreden – laß das verrückte Springen, Komrad, ja zum Teufel, hier ist’s tief durchweicht, was? Und die Buschzeichen sind auch erst hinterm Bach wieder zu sehen – siehst du nun, daß ich recht hatte, den Weg abzustecken? Hier irgendwo war der Bogen ums große Moorloch, daß der Bach durchschneidet, – das war eine böse Schneewehe, he, Komrad? Gut, daß ich da bin. Ich glaube, wenn’s nach dir ginge – zier dich nicht, wir müssen hinüber, wir haben doch keine Streichhölzer mehr!

Siehst du den Bach? Er liegt wie ein schwarzer Gang im Schnee. Den Steg sehe ich nicht, er wird weggetrieben sein. Das ist ärgerlich, aber nach drei Wochen Regen soll’s wohl kommen. Ja, springen, Komrad, nun heißt’s springen! Wir sind doch am rechten Fleck?

Ich versuche, festen Untergrund zum Ablauf zu finden; der Hund ist ängstlich, er jault und läßt die Ohren hängen. Denk an deinen Freund beim Förster, Komrad! Ich weise noch einmal mit der Hand die Richtung und stampfe mir den Absprung zurecht. Das Tier winselt jämmerliche, es sieht, was ich vorhabe. „Bist doch nicht bange, Komrad? Bald kannst du dir die Füße abtreten und die Nase wärmen.“

Jetzt schnappt der Hund nach mir; hat er solche Angst? Feigling, denke ich, aber dann – fast stolpere ich über ihn – dann springt er zuerst. Das tut kein Hund, denke ich blitzschnell, keiner setzt in weichen Schnee – was soll’s?

Nun, um es kurz zu erzählen – ich sagte er sprang zuerst. Und es war drüben wie ein Schlag und langsames Türzugehen, wie ein schwarzes Aufspritzen und Gurgeln und Schließen. Dann war nichts mehr zu sehen. Ich wollte erst grinsen, denke, der nimmt ein böses Bad. Aber mein Hund kommt nicht mehr hoch, da ist nur noch eine moorige, schwarze Pfütze, wo er hinspringen wollte. Ich warte einen Atem lang, rufe, beginne zu schreien, sehe mich rasend nach einem Staken um – nichts rührt sich, keine Blase kommt hoch. Da befällt mich das Zittern; „Komrad!“ Keine Leiter, kein Ast ist nah, nichts als das schwarze Loch im Schnee. Das stehe ich, noch halb vorgebeugt – wollte ich eben nicht springen?

„Komrad!“ Weit ist das Moor, Schnee überall und der Tod darunter.

Unter mir wiegt sich mein Fuß. Der Boden, auf dem ich stehe, scheint nachzugeben. Ich stapfe mit zitternden Knien einige Schritte rückwärts – der Hund! Aber ich rufe nicht mehr, die Stimme kommt nicht heraus. Es ist ja auch ohne Sinn; das Wasserloch, auf das ich starre, scheint enger zu werden. Noch ein Augenblick des Wartens, dann graut mir zu sehr; zehn, fünfzig Schritte muß ich zurück. Da sehe ich seitlich einen Stecken, halb abgebrochen aus einer Schneewehe aufragen, sehe plötzlich vorn hinter einer Krümmung den weiß beschneiten Steg über den Bach, den ich verfehlt habe.

„Komrad!“

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