A) Allgemeine Grundlagen

1.       Im Vorfeld

Sie haben sich dafür entschieden, sich einen Spitz zuzulegen?

Möglicherweise haben Sie vom Züchter auch bereits diverse gute Ratschläge erhalten und sich an irgendeinem Forum, einer Whats-App-Gruppe oder wo auch immer angemeldet, sich nach einer Hundeschule erkundigt, ihn in der Welpen-Spielstunde angemeldet und Anderes mehr. Sie haben das schnuckeligste Hundebettchen für ihn gekauft, das Sie nur finden konnten, 5 verschiedene Quietschies, 3 Bälle und sonstige lustige Spielsachen, die Sie im Futtermittelladen gefunden haben, eimerweise Leckerli, eine weiche Bürste und vielleicht auch noch ein putziges Schleifchen fürs Haar und natürlich eine Welpenleine und eine Flex, sowie ein kleines Geschirr. Entsprechend gut fühlen Sie sich den nahenden Herausforderungen des neuen Alltags gegenüber gewappnet. Zum mit dem Züchter vereinbarten Zeitpunkt holen Sie ihn ab, bringen ihn in sein neues Zuhause und empfangen ihn dort mit all Ihrer Liebe, Freude, Spielsachen, Leckerli usw., damit er sich gleich richtig geborgen fühlen soll. Aber dann….

…. macht der kleine Kerl plötzlich Alles andere als das, was Sie, den gut gemeinten Ratschlägen folgend, von ihm erwarten.

Er schläft so gut wie nicht mehr, rennt fast ununterbrochen wie aufgedreht durch die Wohnung, nagt alles an, beißt Sie in Beine, Zehen, Hände, springt überall hoch und versteckt sich ängstlich sich unterm Bett.

Summa summarum: Sie suchen den Knopf zum Abstellen und können keinen finden!

?????

 

 

2.       Der Denkfehler: Ein Hund ist kein Mensch!

Die meisten Leute verwechseln einen Hund mit einem Haushaltsgerät, bei dem sie die Gebrauchsanleitung lesen, auf einen bestimmten Knopf drücken und dann „drehen sich die Quirle“.

Falls das so nicht funktioniert, begeben sie sich auf die Fehlersuche, was ja erst einmal völlig richtig ist.

Der Verhaltensforscher Eberhard Trumler mit den Großspitzen Godiva und Enzo vom Seerosenweiher

Das Problem dabei: Ein Hund ist ein Hund und kein Mensch. Das fängt damit an, dass Leute ihren Hund nicht als Hund, sondern als ihr „Baby“ bezeichnen und sich selbst nicht als Hundehalter oder Hundeführer, sondern als „Hunde-Eltern“ oder „Pawrents“. Und die Rückschlüsse, die die meisten Menschen aus seinem Hunde-Verhalten ziehen, wären möglicherweise korrekt, wenn der Welpe ein Menschenkind wäre, aber da er das nicht ist, sondern anders funktioniert, sind folglich auch die Rückschlüsse oft falsch! Wenn wir also dem Problem auf den Grund gehen wollen, ist es zwingend erforderlich, die Brille der uns weit näherliegenden Menschenpsychologie abzusetzen, weil sie die beim Menschen ermittelten Kausalzusammenhänge fälschlicherweise und pauschal 1:1 auf den Hund überträgt! In Einzelfällen mag eine solche Übertragung sogar stimmen – im Allgemeinen jedoch nicht!

 

Aber fangen wir erst mal ganz von vorn an:

 

  1. Die Auswahl der richtigen Hunderassse

Nehmen wir einmal an, Sie möchten Suppe essen.

Sie bekommen also einen Teller Suppe und 3 verschiedene Gerätschaften zur Auswahl, um sie zu essen:

  • 1 Paar Ess-Stäbchen,
  • 1 Löffel
  • 1 Rasierklinge.

Mit den Ess-Stäbchen kann man einen Gegenstand zangenartig zwischen beiden Stäbchen einklemmen, um ihn irgendwo anders hin zu befördern. Eventuell könnte man, je nachdem wie spitz die Stäbchen sind, auch etwas damit aufspießen. Sie würden sich also durchaus zum Nahrungsverzehr eignen, sofern es sich dabei um Nahrung handelt, die man einklemmen oder aufspießen kann. Suppe allerdings ist flüssig und nicht stückig. Sie würde einfach an den Stäbchen herunterlaufen, bevor Sie Ihren Mund überhaupt erreichen und darum scheiden die Stäbchen als Gerätschaft zum Essen einer Suppe aus.

Der Löffel hat am Ende des Griffes eine leichte Vertiefung (wie ein kleines Schüsselchen), in der flüssige Nahrung wie Suppe in kleinen Portionen befördert werden kann, ohne herauszulaufen. Der Griff daran verhindert, dass man sich beim Festhalten des „Schüsselchens“ die Finger an der heißen Suppe verbrüht. Er wäre also zum Essen der Suppe durchaus geeignet.

Die Rasierklinge ist, ebenso wie die Stäbchen, glatt und eine Flüssigkeit würde einfach daran herunterlaufen. Darüber hinaus hat die Rasierklinge scharfe Ränder. Größere Nahrungsstücke könnte man damit wunderbar zerteilen. Würde man sie allerdings in den Mund nehmen, würde man sich mit hoher Wahrscheinlichkeit Lippen und Zunge verletzen. Sie wäre also zur Vorbereitung der Nahrung geeignet, sofern sie dabei außerhalb des Mundes bleibt und sofern die Nahrung aus Stücken besteht. Da in diesem Fall beide (!) Voraussetzungen zutreffen müssten, bei Suppe allerdings nicht einmal eine tatsächlich zutrifft, würde die Rasierklinge ausscheiden.

Ich vermute also, Sie würden den Löffel wählen. Und eine andere Auswahl würde zu unbefriedigenden Ergebnissen führen, bzw. Probleme verursachen.

Dieses Beispiel erscheint sicherlich erst einmal fast zu banal, um überhaupt thematisiert zu werden. Aber nur fast.

Denn dummerweise kommen heute nur noch die wenigsten Leute auf die Idee, vergleichbare Maßstäbe und Kriterien anzulegen bei der Anschaffung und Auswahl ihres Hundes. Warum schafft sich jemand einen Herdenschutzhund wie den Kangal an, der in einer 2-Zimmer-Wohnung einer Großstadt wohnt und weder Schafe hat, noch befürchten müsste, dass diese nicht vorhandenen Schafe einem Wolfsangriff zum Opfer fallen könnten?

Wenn Sie sich also einen Wachhund wie den Spitz zulegen möchten, sollten Sie – auch wenn es ein Kleinspitz sein soll – zu allererst überlegen, ob das ganze Bündel seiner mitgebrachten Eigenschaften, Fähigkeiten und Macken überhaupt bei Ihnen erwünscht ist und in Ihr Leben passt (Lesestoff dazu ist hier im Überfluss vorhanden!). Erst danach sollten Sie sich ansehen, ob er Ihnen auch optisch gefällt.

Und nicht umgekehrt!

 

  1. Jedes Tier hat bestimmte Grundbedürfnisse, die es befriedigen muss um (Über-) leben zu können:
  • Nahrung
  • sicheres Umfeld
  • Fortpflanzung

Zur Befriedigung dieser Bedürfnisse stehen ihm ein bestimmtes Repertoire von Verhaltensweisen zur Verfügung, die teilweise angeboren sind, z. B. art- und rassespezifische Instinkte, und teilweise durch Prägung, Erziehung und Lernen erworben.

 

  1. Im Verlauf der Domestikation hat der Hund sich in eine Abhängigkeit zum Menschen begeben, indem er sozusagen zum Dienstleister/Befehlsempfänger geworden ist. Doch allein die Begriffe „Abhängigkeitsverhältnis“ oder „Befehlsempfänger“ sind bei den meisten Menschen üblicherweise negativ belegt. Wäre es für den Hund ebenso negativ gewesen, hätte er sich nicht dafür entschieden, dem Menschen zu folgen. Das hat er nur deshalb getan, weil auch er selbst einen Nutzen daraus gezogen hat: Er braucht sich nämlich im Gegenzug um diverse andere Bedürfnisse nicht mehr zu kümmern – das erledigt sein Mensch für ihn! Aus der Perspektive des Hundes also eine Win-Win-Situation!

Für Hunde muss man ferner berücksichtigen, dass zumindest Rassehunde, IMMER und ausnahmslos gezüchtet wurden, um den Menschen bei einer bestimmten Arbeit zu unterstützen. Das kann das Hüten der Schafe sein, die Abwehr von Raubtieren, das Herausfischen und Heranbringen einer erschossenen Ente aus dem See, das Aufspüren und/oder Hetzen eines jagdbaren Wildtieres oder auch die Bewachung und Schutz des Eigentums. Die für diese Arbeiten erforderlichen Fähigkeiten und Verhaltensweisen wurden bei Rassehunden in teilweise Jahrhunderte oder gar Jahrtausende anhaltender züchterischer Selektion herausgebildet, gefördert und verfestigt  – wozu auch gerechnet werden muss, dass man Hunde mit für diese Arbeit unerwünschten Eigenschaften von der Weiterzucht der entsprechenden Rasse logischerweise ausgeschlossen hat (sofern sie nicht einfach in den Topf gewandert sind). Diese erblichen artspezifischen Kompetenzen und Verhaltensweisen des Hundes zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse wurden also durch Zucht modifiziert und/oder ergänzt.

 

  1. Neben den grundlegenden sozialen und anderweitigen Kompetenzen, die der Welpe zum einen Teil als im Kopf angelegten Instinkt und artspezifisches Schema ererbt, erlernt und ergänzt er den anderen Teil art- und rassespezifischer Kompetenzen durch Prägung und Vertiefung durch seine Mutter und Familie (das Rudel ist seine Familie).

Die individuelle Prägung und Vertiefung dieser Kompetenzen ergibt sich aus der Konstellation verschiedenster Voraussetzungen seitens der Mutterhündin, wie z. B. ihrer Erziehung, und Faktoren der Umgebung. Sofern man sich also für den Kauf eines Rassehundes entschieden hat aufgrund bestimmter rassetypischer Verhaltensweisen und Potenziale, ist es mehr als empfehlenswert, auch die Mutterhündin, das Rudel und die Umgebung, in dem, bzw. in der der Welpe aufgewachsen ist, sowie den Züchter und seine Erziehungsmethoden usw. genauer „unter die Lupe zu nehmen“, um zu ergründen, ob die dortige Prägung, Erziehung und Ausbildung tatsächlich dem gewünschten Rassestandard entsprechend erfolgt. Ansonsten könnten Sie, um beim obigen Beispiel der Suppe zu bleiben, evtl. einen Löffel erhalten, dessen Ränder sich wunderbar zum Rasieren eignen…

 

3.       Erziehen oder Abrichten/Dressieren

Bei der Erziehung eines Hundes kommt es vordringlich darauf an, dessen mitgebrachte grundlegende Eigenschaften und Kompetenzen in die neue Gemeinschaft einzubinden, zu entwickeln und zu formen – sie basiert auf der Einsicht des Hundes in die Notwendigkeit und Akzeptanz eines bestimmten Verhaltens mit dem Ziel der optimalen Rollenverteilung innerhalb einer vorgegebenen Sozialstruktur zum Wohle der gesamten Gemeinschaft. Durch die zu erwartende positive Konsequenz für die gesamte Gruppe (und damit natürlich auch den betreffenden Hund als Mitglied derselben) ist Erziehung selbstbelohnend. Die dadurch bedingte Motivation bezeichnet man als „intrinsische Motivation“ (intrinsisch = von innen heraus wirkend).

Dem gegenüber steht das, was – leider – von den meisten Leuten (inkl. der scharenweise selbsternannten „Experten“!) mit Erziehung verwechselt wird, nämlich das

Abrichten oder Dressieren eines Hundes.

Beim Abrichten/Dressieren eines Hundes geht es darum, dem Hund die Befolgung ganz bestimmter Kommandos unter Verwendung von äußeren Reizen (= Stimuli) in Form von Belohnungen (z. B. Leckerli) zu vermitteln. Diese Art der Motivation wird als „extrinsische Motivation“ bezeichnet. (extrinsisch = von außen wirkend)

Das Problem für den Laien ist häufig die Unterscheidung. Denn die Befolgung eines Kommandos kann sowohl aufgrund der Einsicht des Hundes in eine Notwendigkeit erfolgen – als auch auf reiner Dressur beruhen!

Am einfachsten lässt sich der Unterschied meist (nicht immer!) schon daran erkennen, ob ein äußerer Stimulus, also ein Leckerli, eingesetzt wird oder nicht. Er kristallisiert sich aber vorwiegend in der Dauerhaftigkeit des Erlernten. Vorwiegend heißt jedoch nicht, dass dies der ausschließliche Unterschied wäre. Der andere sehr bedeutsame Unterschied besteht darin, dass Erziehung das Verhalten und Wesen des Hundes beeinflussen kann, Dressur lediglich seine Fähigkeiten.

 

Ein Beispiel:

Der Hund soll „Sitz!“ machen.

 

  1. Erziehung

Der Welpe hat von Beginn an gelernt, dass seine Mutter ihn mit der Pfote auf den Untergrund drückt, damit er still hält, während sie ihm Bäuchlein und Pöter massiert. Ohne diese Massage kann ein Welpe nämlich nichts ausscheiden. Er weiß also, dass die Pfote auf dem Rücken die unmissverständliche Anweisung ist, still zu halten. Aber er hat es auch gleichzeitig verknüpft mit der wohltuenden und fürsorglichen mütterlichen Massage und Aufmerksamkeit. Bei erwachsenen Hunden ist das Auflegen der Pfote auf den Rücken eines anderen Hundes eine sog. Dominanzgeste. Dummerweise wird der Begriff der „Dominanz“ von den meisten Menschen sehr negativ attribuiert. Für den Hund bedeutet Dominanz aber nicht grundsätzlich etwas Schlechtes oder Unangenehmes. Zwar beinhaltet es auch, dass er bestimmten Regeln/Anweisungen zu folgen hat, aber gleichzeitig bedeutet es auch Schutz, Fürsorge, Zusammenhalt und anderes mehr durch eine für die gesamte soziale Gemeinschaft möglichst optimale und an individuelle Kompetenzen gebundene Rollenverteilung! Denn Dominanz ist keine Charaktereigenschaft, sondern eine situativ und kontextbezogene variable Verhältnismäßigkeit.

Drückt man also dem Welpen den Pöter herunter, damit er „Sitz!“ macht, führt man eigentlich nur fort, was seine Mutter ihm schon beigebracht hat. Durch diese, ihm seit den ersten Lebensstunden vertraute, Geste weiß er nicht nur, was er machen soll, sondern auch, wer derjenige ist, der „das Sagen hat“ und für ihn sorgt, ihn schützt usw. Er weiß, das Widerspruch nicht geduldet wird bzw. Konsequenzen hat. Auch, wenn er im „Flegelalter“ diese Grenzen erneut austestet. Der Welpe erhält durch diese Vorgehensweise also grundlegende Informationen über die Rollenverteilung im für ihn noch neuen Hund-Mensch-Gefüge in Verbindung mit der Befriedigung seines Bedürfnisses nach Sicherheit und Geborgenheit.

Das hat für ihn existenzielle und sehr nachhaltige Bedeutung! Entsprechend gut wird er sich diese Lektion merken und sogar sehr junge Welpen wissen meist schon bei der zweiten oder spätestens dritten Wiederholung, was sie tun sollen! Die eigentliche Befolgung dieses meist als Erstes erlernten Kommandos hat im Grunde für den Welpen selbst eine verschwindend geringe Bedeutung im Vergleich dazu, dass allein an der Technik der Vermittlung sein ganzes Weltbild und Wohlbefinden hängt! Und darum macht er das gern.

 

  2. Dressur

Man stelle sich vor den (mehr oder weniger hungrigen) Welpen und zeige ihm ein Leckerli. Das wird er natürlich haben wollen. Anschließend ziehe man dieses Leckerli vor den Augen des Welpen langsam nach oben. Er wird es mit seinen Blicken verfolgen und wenn es weit genug über seinem Kopf angekommen ist, wird er sich hinsetzen, damit er es besser sehen kann. Dann gibt man ihm das Kommando und im Anschluss das Leckerli.

Zunächst ist das für den Welpen ein lustiges Spielchen und dafür ist jeder Welpe zu haben. Wiederholt man es oft genug, verknüpft der Welpe das Sich-hinsetzen mit dem Leckerli und wenn man ihn weiter hungrig lässt (oder das Angebot entsprechend verführerisch riecht), wird er das auch immer machen, weil er ja satt werden will und muss.

 

Das bei der Dressur angewandte Prinzip nennt man „Operantes Konditionieren“. Es beruht auf der Verknüpfung eines äußerlich angebotenen Reizes mit einer bestimmten Reaktion/Handlung. (Die verschiedenen Aspekte des Operanten Konditionierens differenzierter aufzuschlüsseln, erspare ich mir hier.)

Bei der Vermittlung dieser (meist fälschlicherweise als Erziehung deklarierten) Technik in Hundeschulen wird üblicherweise dem spielerischen Rahmen der ganzen Veranstaltung die mit Abstand größte Bedeutung beigemessen und das Ganze als weitaus sanftere Methode propagiert, als so ein oberflächlich fast „brutal“ erscheinender Eingriff in die körperliche Integrität des „armen“ Welpen. (Aus unerfindlichen Gründen wird allerdings das ständige Befingern und Begrabschen des Welpen nicht als brutaler Eingriff betrachtet…) Tatsächlich aber ist diese Methode die weitaus brutalere, weil sie dem kleinen Kerlchen die gerade in dieser ersten Zeit für ihn so wichtige Befriedigung des Bedürfnisses vorenthält, die er am dringendsten benötigt: Sicherheit und Geborgenheit!

Und es funktioniert auch erst mal prächtig. Prächtig genug, um sich im Wonnegefühl vermeintlich gelungener „Erziehung“ zurückzulehnen und es Allen, die es sehen wollen oder auch nicht, bei nächstbester Gelegenheit applausheischend vorzuführen. Es eignet sich überdies mindestens ebenso prächtig zum Verkauf entsprechender „Schulungs-Veranstaltungen“, dazugehöriger Leckerli und sonstigen Zubehörs, sowie last, but not least zur eigenen Reputation in irgendwelchen Foren und Internet-Gruppen. Davon lebt eine millionenschwere Industrie und ohne solche Beschäftigungen gilt man in den Zirkeln entsprechend erlauchter und sich gegenseitig hypender „Pawrents“ als absolutes „Nichts“!

Um jeglichem Missverständnis vorzubeugen: Es gibt durchaus sinnvolle und wichtige Anwendungen für Dressur. Erziehung und Dressur schließen sich auch nicht gegenseitig aus. Sie können sich – richtig verstanden und angewandt – sogar sinnvoll ergänzen. Beides hat seine Berechtigung.

Man darf nur nicht den Fehler machen, Erziehung und Dressur zu verwechseln!

Denn:

Erziehung beeinflusst und modifiziert das gesamte Lebensgefühl und Verhältnis zwischen Mensch/Umwelt und Hund und ist darum weit mehr als das reine Antrainieren eines Verhaltensschemas durch Verknüpfung eines äußerlich dargebotenen Reizes mit einer bestimmten Reaktion. Wo allerdings die Erziehung mangelhaft ist oder gänzlich fehlt, hilft auch keine Dressur.

 

4.       Die Bedeutung des Spielens

Spielen ist ein angeborenes Verhalten und dient dem Tier (und auch dem Menschen!) nicht einfach nur als unterhaltsame Freizeitbeschäftigung, wie wir das meist sehr oberflächlich interpretieren – es erfüllt den (über-) lebenswichtigen Zweck, kreativ den eigenen Körper und seine Möglichkeiten, aber auch Grenzen kennenzulernen und zu erforschen, die Interaktion mit der Umwelt zu lernen und zu üben, wozu auch die Erfahrung gehört, verschiedenste Reaktionen der Umwelt zu beobachten, physisch und psychisch zu erfahren, zu verarbeiten und all dies in ein angemessenes Verhältnis zueinander und zu sich selbst zu setzen.

Daraus folgt, dass der Welpe beim Spielen eine schier unglaubliche Menge lernt und man sollte ihm daher ausreichend Raum und Möglichkeit dazu bieten.

Die Bedeutung des Spielens und die Vielzahl von Erkenntnissen, die der Welpe daraus erwirbt, wird allerdings meist hoffnungslos unterschätzt. So lernt er meist sehr viel mehr als nur das, was man als Mensch ganz offensichtlich wahrnimmt oder auch wünscht, wenn man ihm z. B. spielerisch das Kommando „Sitz!“ beibringen möchte.

Er lernt auch Sachen, die wir ihm überhaupt nicht beibringen wollen oder sogar als unerwünscht betrachten können. So kann er bei ständiger und ausschließlicher Verwendung Operanten Konditionierens, also Dressur, auch lernen, den Menschen als zweibeinigen Leckerli-Automaten zu sehen und wird dann konsequenterweise (Hunde haben den meisten Menschen in puncto Konsequenz so Einiges voraus) spätestens beim dritten Kommando ohne nachfolgendes Leckerli jegliche weitere Mitarbeit ggf. unter Protest einstellen. Sie müssen also die Befolgung des Kommandos in Zukunft bei ihm „kaufen“. Man stelle sich das einmal in Verbindung mit einem Blindenhund, Diabetes- oder Epilepsie-Warnhund vor, wenn dem Blinden während eines Ausflugs die Leckerli ausgehen . . .

Alternativ könnte es passieren, dass er gelernt hat, es als sein Recht anzusehen, als Folge einer bestimmten Aktivität belohnt zu werden und diese ihm aus seiner Sicht zustehende und von Ihnen verweigerte Belohnung dann mit entsprechendem Nachdruck einfordert. Das kann anfangen bei wütendem Gebell und durchaus (je nach „Kaliber“ und Temperament Ihres Hundes) mit einem Biss in die Wade oder schlimmer enden. Natürlich werden Sie das dann bei Ihrem Hund nicht nochmal machen, sondern ihm in Zukunft wieder brav das ihm zustehende Leckerli geben, gell?

Und schon haben Sie einen vermeintlich verhaltensauffälligen Hund!!!

Dabei macht der Hund ja nichts Anderes, als das einzufordern, was Sie selbst ihm, ohne es zu merken, als sein Recht beigebracht haben. Und da Sie dabei vollkommen übersehen haben, ihm (mittels Erziehung) zu erklären, wer von Ihnen beiden der Chef ist, und der Hund Sie aufgrund der Tatsache, dass Sie sich in Bezug auf die Leckerli-Geschichte nicht mal an Ihre eigenen Regeln halten, als Chef für vollkommen inkompetent hält, bleibt ihm eigentlich gar nichts Anderes übrig, als diese Führungsposition nun selbst zu übernehmen und die Sache nach „Hunde-Art“ zu regeln. Sie dürfen ihn also höflich fragen, ob er doch freundlicherweise seine Zähne aus Ihrem Unterschenkel nehmen könnte . . . evtl. im Tausch gegen ein Leckerli?

 

5.       Fazit

Spielen ist angeborenes intrinsisch motiviertes (Das Motiv ist im Lebewesen selbst vorhanden) plastisches und nachhaltiges Lernen von existenzieller Bedeutung. Die beim spielerischen Lernen vermittelten Inhalte und Werte sollten gut beobachtet, und ggf. durch Erziehung (!) korrigiert und ergänzt werden, sonst können weitreichende unerwünschte Folgen entstehen. Das setzt natürlich voraus, dass man über das nötige Hintergrundwissen verfügt, um fehlgeleitete oder sogar verhängnisvolle Verhaltensweisen und Entwicklungen frühzeitig erkennen und einordnen zu können! Diese Gefahr erhöht sich, wenn die grundsätzlich immer erforderliche Erziehung unterbleibt und der Hund ausschließlich im unreflektierten spielerischen Rahmen durch Dressur unter entsprechend häufiger Wiederholung derselben möglichen Fehler ausgebildet wird.

 

6.       Im Nachgang

 Wenn der am Anfang beschriebene Welpe wie aufgedreht in der Wohnung herumläuft und überhaupt nicht zur Ruhe kommt, dann sollten Sie ihn nicht mit Leckerli vollstopfen bis er platzt. Sie sollten ihn auch nicht mit Quietschis und Bällchen traktieren oder im Geschirr und mit Schleifchen im Haar durch die Gegend und zur Dressur in die Welpenspielstunde zerren bis er vor Erschöpfung umfällt.

Erziehen (!!!) Sie ihn bereits ab dem ersten Spaziergang zum „Sitz!“ (beim Anleinen, am Halsband!) und setzen ihm Grenzen, denn Grenzen benötigt der Hund zwingend zur Orientierung, damit er überhaupt weiß, wie er sich wann verhalten soll! So können Sie ihm ganz einfach die Sicherheit, Geborgenheit und den Schutz geben, ohne die er sich nicht entspannen und zur Ruhe kommen kann!

Und noch zwei Tipps zum Schluss:

  1. Wenn Sie ihrem Hund Kommandos beibringen, folgen Sie nicht einfach nur gedankenlos dem „Mainstream“. Ein Hund versteht viel besser, was Sie von ihm erwarten, wenn Ihre ganze Haltung, Mimik und Sprache ihm das, neben dem gesprochenen Wort, gleichzeitig vermitteln. Wenn Sie ihm also beispielsweise beibringen möchten, dass er sich entspannt neben Ihnen ablegen soll, dann versteht er das englische, weich ausgesprochene lautmalerische (!) Kommando „Lay down!“ viel besser als ein hartes „Platz!“ (In der Ausbildung eines Polizeihundes, wäre das angebracht, wenn der abgelegte Hund mit aufgestelltem Kopf und höchster Aufmerksam neben seinem Hundeführer liegt – zur Entspannung ist es aber keine Einladung.) Machen Sie sich einfach mal Gedanken über die Kommandos, die Sie verwenden (möchten)!
  2. Reden Sie ruhig und leise mit dem Hund. Hunde haben ein vortreffliches Gehör, um jedes leise Knacken im Gebüsch hören zu können. Und auf solche leisen Geräusche achten Sie viel mehr, als auf laute Ansprache!