Anton hatte, als er klein war, ein Ausmaß an Unfug im Kopf, dass ich es machmal für sinnvoller hielt, ihn mit zur Arbeit zu nehmen. Insbesondere, wenn Gilla läufig wurde, neigte er dazu, sich wie ein liebestoller Caruso aufzuführen und konnte ihr stundenlang ganze Arien von Liebesliedern vorsingen. Und natürlich wollte ich auch die Nerven meiner Nachbarn nicht wirklich überstrapazieren.
Bei meinen Azubis war Anton immer ein gern gesehener Gast. Allerdings waren nicht alle Schulen damit einverstanden, wenn ich ihn mitbrachte. Zwar ist inzwischen bekannt, dass Hunde im Unterricht, sofern sie sich natürlich angemessen verhalten, die Konzentration der Schüler sogar wesentlich verbessern, aber es gibt immer Leute, an denen gehen solche Erkenntnisse schlichtweg vorbei….
Sofern sich niemand an meinem Arbeitskoffer zu schaffen machte, war Anton im Unterricht einfach nur liebenswürdig zu allen. Und so haben mich sicherlich die meisten insgeheim für eine Spinnerin gehalten, wenn ich gesagt habe, dass Anton durchaus auch anders kann und ein sehr ernstzunehmender und scharfer Wachhund ist.
Wie auch immer, es war große Pause und die Schüler und auch ich gingen vor die Tür. Unmittelbar neben der Schule befand sich ein Supermarkt mit einem Bäcker im Eingangsbereich. Ich hatte beschlossen, mir dort ein belegtes Brötchen zu kaufen. Da ich Anton natürlich nicht mit hinein nehmen konnte, fragte ich eine Schülerin, ob sie seine Leine einen Augenblick halten könne.
Das wollte sie wohl gern übernehmen und so ließ ich Anton „Sit“ machen und übergab ihr die Leine mit dem Hinweis, dass sie auf gar keinen Fall versuchen solle, mit ihm auch nur einen halben Meter weit zu gehen. Sie versprach es mir.
Als ich vom Bäcker zurückkam, stand meine Schülerin bibbernd mit Antons Leine da und als ich fragte, was denn los gewesen sei, antwortete sie mir, dass sie gedacht hätte, dass doch ein paar Meter weiter eine Wiese sei, auf der er wunderbar schnuppern könne und so hatte sie versucht, mit ihm dort hinzugehen.
„Gehen Sie nicht über Los, sondern bleiben Sie genau dort stehen bis ich zurück bin!“
Ein ordentlicher Spitz ist zwar, sofern er sieht, dass es im Sinne seines Herrn ist, zu jedermann freundlich. Wer aber in Abwesenheit von Herrchen oder Frauchen, versucht, mit dem Spitz auch nur das kleinste Stück weiter zu gehen, greift aus Sicht des Hundes seine Beziehung zu seinem Herrn an. Und das geht mal gar nicht!!! Daher reagiert der Spitz dann meist äußerst aggressiv.
Meine Schüler hatten danach unglaublichen Respekt vor Anton und mussten erst langsam begreifen, dass so ein Hund eigentlich nach sehr strengen Regeln lebt, die man kennen und respektieren sollte. Dann, und nur dann, sind auch die durchsetzungsfähigsten Spitze lammfromm.
Gerade in diesem Punkt gibt es nicht nur zwischen den einzelnen Hunderassen, sondern auch zwischen den einzelnen Individuen derselben Rasse teilweise erhebliche Unterschiede. Spitze und auch andere spitzartige Hunde haben eine verhältnismäßig hohe Neigung, so zu reagieren. Unser alter Wolfsspitz Otto war in dieser Beziehung verhältnismäßig gelassen – er hatte eher die Tendenz, einfach wie festgewachsen dort liegen zu bleiben, wo er war. Griepto oder auch meine erste Spitzin Susanne konnten in solchen Situationen, ebenso wie Anton, zur Höchstform auflaufen.
Susanne konnte ich selbst bei der Tierärztin, bei der wir damals noch waren, unter einem Stuhl ablegen und nach draußen gehen. Besonders im Hochsommer war das sehr angenehm, denn dort musste man manchmal stundenlang warten. Im Leben wäre Susanne nicht aufgestanden oder weggegangen. Und Gnade Gott demjenigen, der versucht hätte, sie von ihrem Platz zu verjagen. Sie war zwar nur 42 cm groß, aber mit Sicherheit hätte sie sich aufgeführt wie ein Molosser in einer römischen Löwenarena!